Entscheidungsfindung at its best
Hey cool, da gibt es einen Job in Lissabon. War ich noch nicht. Bestimmt cool da. Ja gut, ein Job im Callcenter, klingt jetzt nicht so geil, aber hey, wenn dafür die Zeit neben der Arbeit geil ist, wird das schon.
Ja, so der Plan.
Schön mit Fahrrad Touren durchs Land machen. Mit Zug an weiter entfernte Orte fahren und diese dann mit Rad erkunden. Vielleicht auch mal rüber nach Spanien. Wir sind doch in Europa. Die Grenzen sind offen für alle.
Nach Nazaré, die Wellen sollen der Hammer sein. Bis zu 30 Meter hoch zur Saison. Das will ich sehen! Und wenn wir schon von Wellen sprechen: Surfen wäre doch eigentlich auch ganz geil. Das will ich bei der Gelegenheit doch auch glatt lernen.
Nicht zu vergessen, die Sprache natürlich. Wie geil ist es, wenn du direkt in dem fremden Land die Sprache lernst und direkt anwenden kannst.
Schön im Restaurant sitzen, einheimische Speisen auf Portugiesisch bestellen und schlemmen. Die Stadt und die Firma sind auch super International. Da lernt man bestimmt viele interessante Leute aus allen Teilen der Welt kennen.
Ja, müsste doch ganz geil werden. Da ist der Job doch eigentlich egal. Machen wir das.
So, oder so ähnlich ist die Entscheidungsfindung abgelaufen. Viel überlegen brauchte ich da nicht. Irgendwas muss ich ja machen.
Also beworben, angenommen, Ticket gebucht und ab geht’s.
Die ersten Tage
Ich hatte die Möglichkeit bis zu 6 Tagen vorher anzureisen. Klingt nach einem guten Zeitraum um sich einzuleben. Flug für Mittwoch gebucht, da habe ich noch ein paar Tage um mich an die Umgebung zu gewöhnen, eh es dann am Montag los geht.
Viel mitnehmen will ich nicht. Es geht doch Richtung Süden. Ich plane nur für schönes Wetter. Alles andere wird ignoriert. Ja OK, oder eben vor Ort besorgt. Hauptsache nicht zu viel Gepäck schleppen.
Am Tag der Abreise bringt mich der werte Vater zum Flughafen. Der letzte familiäre Kontakt für einen unbestimmten Zeitraum. Ich freue mich drauf. Schließlich habe ich nun lange genug im Elternhaus wie die Made im Speck abgegammelt. Beide Seiten brauchen nun wieder Abstand. Über 2200 Kilometer Luftlinie sollten ausreichen.
Am Flughafenparkplatz dann der letzte Abschied. Von nun an, werden alle Menschen nur noch begrüßt die ich treffe. Flughafenprozedere läuft ab, wie es eben abläuft.
Kaum im Flieger klebt mein Blick nur noch an der Scheibe. Kann los gehen! Zeig mir die Welt von oben.
Kaum über den Wolken ziehe ich mir die Sonnenbrille auf die Nase. Aus diesem Fehler, habe ich bei meinem ersten Flug gelernt. Wird sonst anstrengend auf Dauer. Diesmal fliege ich ja doch etwas länger. Während des gesamten geht mein Blick nach draußen. Einfach Atemberaubend. Selbst wenn es lange Zeit nur die Wolkendecke ist, welche sich zeigt.
Ein Wunsch während des Fluges hatte ich jedoch. Ich will unbedingt die Pyrenäen sehen.
Das Wetter ist gnädig mit mir. Genau rechtzeitig bricht die Wolkendecke auf und ich habe einen fantastischen Blick auf diese Gebirgskette.
Aus unerklärlichem Grund dachte ich während des Fluges die ganze Zeit, dass dieses Gebirge die Anden. Keine Ahnung wie das zu Stande gekommen ist. Falsches Land, falscher Kontinent.
Auch als mich meine Sitznachbarin nach dem Namen dieser Felsformationen frage, beantwortete ich ihre Frage selbstbewusst mit „Das sind die Anden.“ Ja, schon klar Andy, dein Glück, dass der einzige Mensch mit noch weniger Geografiekenntnissen neben dir sitzt.
Ich schiebe diesen Fauxpas mal einfach auf meine mangelnde Fähigkeit mir Namen zu merken. Meine Ausrede für meine nach außen wirkende Dummheit.
Genug von den And... äh, Pyrenäen. Von da an gab es auf dem Flug nur noch einen fantastischen Blick auf die Erdoberfläche. Die Hauptstadt Spaniens Barce... äh, Madrid konnte ich ebenso wunderbar von oben bestaunen. Sieht irgendwie langweilig aus von oben. Ist das eine coole Stadt, wirklich?
Wollen wir den Abschnitt über den Flug aber mal hier beenden. Beim Anflug über die Stadt, konnte ich schon einmal meinen zukünftigen Arbeitsweg und Arbeitsstätte bestaunen. Das werde ich mir in den kommenden Wochen, Monaten, what ever, alles mal genauer anschauen.
Wie bezeichnend die Anreise auch ist. Im grauen Deutschland bei Regen gestartet und in Lissabon komme ich bei strahlendem Sonnenschein unter Palmen an.
Vom Flughafen werde ich dann von einem netten Mitarbeiter abgeholt. Wir kommen gut ins Gespräch, über die Stadt, die Firma und persönliches. So gefällt mir das schon mal.
Wir fahren über die Brücke des 25. April, welche sich über den Tajo erstreckt und Lissabon mit Almada verbindet. Die Brücke ist Auto- und Bahnbrücke zugleich und damit die dritt längste Hängebrücke ihrer Art auf der Welt.
Für mich war dies bis dato das einzige mal, dass ich die Brücke mit dem Auto passiert habe. Danach nur noch ein paar wenige male mit der Bahn.
In der WG angekommen machen wir die Übergabe vom Zimmer. Kein Mitbewohner zu diesem Zeitpunkt in Sicht. Nach dem der Mitarbeiter dann weg ist, komme ich erst einmal in aller Ruhe an. Lage checken. Etwas Essen und dann bin ich doch irgendwie kaputt. Kopfschmerzen plagen mich und ich entschließe mich es ruhig anzugehen. Ich habe ja noch genug Zeit.
Am nächsten Morgen sah die Welt dann schon wieder ganz anders aus. Meinen französischen Mitbewohner habe ich noch in der Nacht kennen gelernt.
Mein Ziel war es nun, so viel wie möglich die Gegend erkunden. Almada, Lissabon, und natürlich auch zum Atlantik. Das sind die Punkte, welche ich vor Schulungsbeginn am Montag noch schaffen möchte. Dazu habe ich nun 4 Tage Zeit. Da sollte so einiges gehen.
Ganz wichtig dabei, ein Fahrrad besorgen!
Doch bevor ich die Möglichkeit habe die Stadt und die Umgebung mit dem Fahrrad zu erkunden. Muss ich erst einmal alles zu Fuß erledigen. So zog es mich am ersten Tag zu einer Tourirunde durch Lissabon selbst. Um auf die andere Seite des Tajos zu gelangen, habe ich dabei nicht die Brücke genutzt, sondern die Fähre. Diese wird noch eine tragende Rolle auf meinem täglichen Arbeitsweg einnehmen.
Keine sorge. Es folgt jetzt kein Reiseführer, was man in der Stadt alles sehen muss. Kauft euch einfach einen Guide oder stöbert im Internet. Da wird es sicherlich mehr Informationen zur Stadt geben und was man gesehen haben “muss“.
Am coolsten war für mich auf jeden Fall der musizierende Punk auf seinem Balkon. Wer meine Storys auf Instagram, Facebook oder WhatsApp verfolgt, wird sicher etwas davon mitbekommen haben. Dies hat zumindest meine Hoffnung geweckt, dass es auch in dieser Stadt eine entsprechende Szene gibt und ich eventuell in den Genuss komme, mir portugiesische Punkmusik anzuhören.
Am zweiten Tag habe ich mir ein Fahrrad klar gemacht. Es ist noch nicht fertig gewesen, aber ich kann es mir am Samstag abholen. So habe ich diesen Tag genutzt um meine Seite zu erkunden.
Samstag Morgen war es dann endlich soweit. Ein Fahrrad. Endlich können wieder vernünftige Strecken zurück gelegt werden. Tasche ist gepackt, auf geht’s bei blendendem Wetter. Endlich den Atlantik sehen und Portugal von mehr als seiner touristischen Seite erleben.
Auf dem Weg zum Atlantik, musste ich Bekanntschaft mit einem Viertel machen, welches stark an Favelas in Brasilien oder Slums in Afrika erinnert. Es liegt an einem kleinen Strand Namens Cova do Vapor. Alles wirkt sehr einfach und ärmlich. Hunde rennen zwischen den Häusern umher, Kinder spielen am Strand. Die Menschen denen ich begegne, sind freundlich.
Als ich dann jedoch von mehreren Hunden umzingelt werde, heißt es für mich ordentlich in die Pedale treten. Dies war meine erste Begegnung mit Straßenhunden, aber bei weitem nicht die Letzte.
Den kleinen Schock kann ich aber dann am Strand vergessen. Am Strand ist richtig was los. Die Wellen haben eine beachtliche Größe. Die einen oder anderen Menschen sehe ich mit ihren Surfbrettern im wogendem Wasser verschwinden.
Wenn ich jeden Tag diesen Anblick haben würde, wäre ich schon zufrieden.
Am letzten freien Tag bevor die Schulung los ging, bin ich noch einmal nach Lissabon gefahren. Den Arbeitsweg ausprobieren und die Stadt weiter erkunden.
Gibt genug unentdeckte Ecken. Aber ich brauche auch nichts überstürzen. Eigentlich habe ich noch viel Zeit dazu.
Wieder die Schulbank drücken
Ab dem heutigen Tage, sollte nun also langsam wieder eine Routine Einzug halten. Nach dem ich seit August letztes Jahr, mehr oder weniger frei in meinem Handeln und Tun war, muss ich mich von nun an wieder an Zeiten halten und Anweisungen von Vorgesetzten Folge leisten.
Da kommt es mir eigentlich ziemlich gelegen, dass der Start ruhig beginnt. Die ersten drei Wochen ist Schulung angesagt. Diese soll dazu dienen, das Wissen zu erlangen, welches für einen Kunden Support nötig ist. Ob das so klappt, das werden wir noch sehen.
Direkt nach dem ersten Tag wird klar. Damn, das ist ja echt wie damals in der Schule mit den Freiheiten einer Universität. Täglich werden uns neue Informationen um die Ohren geballert, welche wohl unerlässlich sind. OK. Wird alles so hin genommen.
Von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Drei Wochen lang. Das coolste an dieser Zeit ist eigentlich, die Leute kennen zu lernen. Wir als „Klasse“ sind eine coole Truppe, funktionieren gut und verstehen uns auch super. Mit den Trainern kommen wir auch sehr gut zurecht und so ist es allem in allem ein angenehme Zeit, welche uns hier verbindet. Im Nachhinein vergingen diese 3 Wochen echt schnell.
Und wie sich herausstellen wird, werden wir dieser Zeit noch hinterher trauern.
Über die gesamte Zeit des Trainings, ist es mir relativ leicht gefallen zeitig das Bett zu verlassen. Mal mehr, mal weniger leicht. Doch die geile Tour am Morgen und dann am Abend durch Lissabon, war einfach immer ein super Ausgleich zum herumsitzen den Rest des Tages. Auch diese Bewegung, wird sich rasch ändern.
Da passiert was auf der Welt und wir sind mittendrin
Hier habt ihr ein voll funktionstüchtiges U-Boot. Nun seht zu, wie ihr damit den Atlantik durchkreuzt.
So oder so ähnlich, hat sich jeder von unserer Truppe nach seinem ersten Tag im Office gefühlt. Plötzlich sollen wir einen Kickstart hinlegen und als Arbeitskraft funktionieren. Zur Zeit gibt es keine Kapazitäten um sich um Newbies entsprechend zu kümmern.
Wie auch in vielen anderen Regionen der Erde, haben Menschen, Unternehmen und Staat es nicht geglaubt, dass die Vorkommnisse in China die ganze Welt betreffen werden. Schlagartig musste nun also eine Lösung her.
Nach und nach hieß es also, alle Mitarbeiter ins Home Office zu verbannen.
Was das für Neulinge bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Einarbeitung und Unterstützung werden auf ein Minimum reduziert. Soll man da als Arbeitnehmer jetzt Verständnis zeigen?
Nein. Ganz und gar nicht. Habe ich nicht. Es hat sich über Monate und selbst für Spätchecker über Wochen angekündigt, dass die Ereignisse auf der Welt Auswirkung auf uns alle haben.
Wenn also ein Multimillionen Konzern Warnsignale Ignoriert, in der Hoffnung, einfach so weiter machen zu können wie bis her um möglichst wenig investieren zu müssen. Ist das schlicht fahrlässig und dumm. Beides kann sich ein Konzern in dieser Größenordnung nicht erlauben.
Nun könnte man fast meinen, das ich glücklich darüber sein kann, einen Job zu haben, welcher trotz der aktuellen Situation weiter im Home Office bestehen kann. Doch ist dies lediglich die wirtschaftliche Sicht.
Aus menschlicher Sicht ist dies eine enorm belastende und überfordernde Situation. Zusätzlich zu den eigentlichen Einschränkungen, welche das ganze Land betreffen.
Als Ausgleiche versuche ich jeden Tag meine Runden zu drehen. Frische Luft, Bewegung. All das braucht der Mensch für seine mentale Gesundheit. Trotz Ausgangssperre versuche ich wenigstens am Wochenende meine größeren Runde mit dem Fahrrad zu drehen.
Aber damit scheint nun auch vorerst Schluss zu sein. Die Stellschrauben der Ausgangssperre wurden angezogen und es wird schärfer kontrolliert. Ich bin mir selbst nicht einmal sicher darüber, was man zur Zeit darf und was nicht.
Ein fremdes Land und eine Situation, mit der alle Überfordert sind. Deal with it.
Klar ist nur, so hat sich wahrscheinlich niemand von uns, die hier im Unternehmen neu angefangen haben, seine Zeit vorgestellt. Wie es sich weiter entwickelt, werden wir sehen. Ich bin kein Freund von Spekulationen.
Genaueres zum Thema und zur Lage hier vor Ort, werde ich demnächst mal in einem Podcast wiedergeben.
Damit endet mein erster kleiner portugiesischer Einblick. Leider fällt er etwas kürzer aus, als das in meinem Kopf vorhandene Potential. Doch leider habe ich zur Zeit wenig Lust, mich nach der Arbeit noch mal an den PC zu setzen und Texte zu verfassen und Bilder zu bearbeiten. Ich hoffe, dass ich bald einen passenden Ausgleich finde um auch wieder Motivation dafür zu finden.
Abschließend kann ich nur sagen. Versucht das Beste aus eurer Situation zu machen. Wir sitzen alle im selben Boot und um uns weiter über Wasser halten zu können, braucht es viel Verständnis und Geduld. Aber niemals für Faschisten und Rassisten! Danke.