Kapitel 6

„Die Welt ist schön und der Mensch ist überall gleich dumm.“

Tag 28 (29.10.2019)

Tage wie diesen, gibt es seit Beginn meiner Reise immer mal wieder. Die meiste Zeit des Tages sitze ich einfach nur am Laptop, schreibe Texte wie diesen und bearbeite die Fotos, welche ich in den letzten Tagen geschossen habe.

Ich mag diese Tage, da ich sie dazu nutzen kann die vergangen Erlebnisse noch einmal zu rekapitulieren und diese Reise besser in meiner Erinnerung abspeichern kann. Es passieren jeden Tag kleine Dinge, welche man im Vorbeigehen noch keine Richtige Beachtung geschenkt hat, sie später aber wieder ins Gedächtnis ruft und sie so an Bedeutung gewinnen.

Wie heißt es doch so schön?

Es sind die kleinen Dinge im Leben...

… die das Leben lebenswert machen.

… auf die es ankommt.

… die zählen.

… die Freude machen.

Unzählige Sprüche und Metaphern weisen darauf hin, unscheinbares mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Kleinvieh macht auch Mist.

Damit nun aber genug der Pseudoweisheiten.

Erst als es schon dunkel wurde habe ich die Zeit gefunden, meinen allabendlichen Rundgang durch die Altstadt von Split zu machen. Eine Runde am Hafen und am Ufer entlang, tröstete darüber hinweg, dass ich heute nicht einmal im Meer baden war.

Tag 29 (30.10.2019)

Heute ist mein letzter Tag in Split bevor es morgen weiter geht. Zur Abwechslung mal ein grauer, regnerischer Tag. Das sei jedoch verziehen Ende Oktober. Außerdem kann ich Tage wie diesen, seit meiner Ankunft in Bratislava an einer Hand abzählen. Damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet, als ich mich Anfang Oktober aufs Rad gesetzt habe um diese Reise anzutreten.

Auch bei solchem Wetter lasse ich es mir nicht nehmen, am Hafen und am Ufer entlangzulaufen um den Blick aufs Meer und die herein wehende Brise zu genießen.

Den weiteren Tag habe ich genutzt um noch mal, bis her unerforschte Ecken der Altstadt zu erkunden. Obwohl der historische Stadtkern von Split eigentlich recht überschaubar ist, finde ich dennoch immer mal wieder Gassen und Winkel, in denen ich bis her noch nicht entlang geschlendert bin. Rund um die Kathedrale und den alten Klostergemäuern bin ich heute fündig geworden. Bevor ich mir aber wieder lyrisch wertvolle Beschreibungen für das Gesehene einfallen lasse, mache ich es mir einfach und lasse die Bilder sprechen, welche auch gleich den Abschied von Split darstellen.

Warum sehen Katzen eigentlich immer aus, als würden sie gleich etwas fieses machen?

Tag 30 (31.10.2019)

Reformationstag. Halloween. Alles Papperlapapp. Vom Feiertag ist hier nichts zu spüren. Meine Verkleidung sind einzig heute meine Fahrradsachen und mein schwer bepackter Drahtesel. Irgendwie hat sich während meiner Woche in Split ganz schön was angesammelt. Die Taschen wirken schwerer als sonst. Darum kümmer ich mich dann, wenn ich in meiner nächsten Unterkunft bin.

Die Tour heute ist als kleiner Test geplant, um herauszufinden wie weit ich mittlerweile wieder mit meinem Knie gehen kann. Daher habe ich nur eine kurze Strecke gewählt und werde dann wieder eine Ruhepause über das Wochenende einlegen um dann zu entscheiden, wie ich weiter machen kann.

Genug gequatscht, los jetzt.

Ich habe mich die gesamte Zeit in Split nur im Bereich der Altstadt und im Marjam Waldpark aufgehalten. Dabei erschien mir die Stadt recht überschaubar und ich war doch etwas verwundert, dass dies die zweitgrößte Stadt in Kroatien sein soll.

Dieser Eindruck wurde beim verlassen der Stadt völlig über den Haufen geworfen. Abgesehen davon, dass es direkt wieder mit fiesen Steigungen los ging, hat sich der Verlauf der Stadt gefühlt ewig gezogen. Ich habe gute zwei Stunden gebraucht, bis ich endlich das Gefühl hatte Split tatsächlich hinter mir gelassen zu haben und noch länger, bis ich dann wirklich mal keine Häuser mehr um mich hatte.

Die Navigation führte mich nicht an der Küstenstraße entlang, sondern über eine kleinere Straße durch das Gebirge von Dalmatien. Ich hatte mir noch nicht viel dabei Gedacht, als ich dieser Route vertraut hatte. Wie hoch kann es hier schon gehen? Ich bin doch am Meer.

Außerdem sind es nur knapp 35 km, welche ich heute eingeplant habe. Gelenkschonend und gemütlich.

So viel dazu. Wie so oft, stellt sich heraus, dass meine Vorstellungen doch etwas von der Realität abweichen. Als sich der Weg teilt, überlege ich noch kurz, ob ich weiter der Küstenstraße folge oder wie vorgeschlagen, die kleinere Straße parallel dazu durch das Gebirge nehme.

Die Route der EuroVelo 8, welche von Cadiz in Spanien über Athen bis nach Zypern führt, empfiehlt auch den Weg durchs Gebirge. OK, die Menschen die das geplant haben, werden sich ja irgendwas dabei gedacht haben. Also schlage ich auch diesen Weg ein.

Die Steigerung ist deutlich sanfter als einige der Passagen in der Stadt von Split. Es geht hoch. Langsam immer weiter hoch. Die Zahl auf dem Höhenmeter steigt langsam an. Anfänglich nur etwas anstrengend, wird es immer mehr zur Belastungsprobe. Denn es hört einfach nicht auf. Leider muss ich auch erwähnen, dass sich das Knie wieder bemerkbar macht. Mehr Worte will ich dazu aber nicht verlieren.

Kein Ende ist in Sicht. Ich gebe zu, ich habe meine Entscheidung von der Küstenstraße abzuweichen doch etwas verflucht. Immer mal wieder war die Steigung zu groß und ich musste absteigen und schieben. Hier rächt sich wieder, dass das Fahrrad deutlich schwerer als vor meinen Aufenthalt in Split ist.

Merke: Immer fleißig den Proviant dezimieren, bevor du dich auf bergige Abschnitte begibst.

Irgendwann bin ich auf über 300 Höhenmeter und das scheint es auch gewesen zu sein. Es sind nur noch 10 Kilometer bis zu meinem Ziel und dieses liegt am Meer. Also muss doch jetzt langsam mal eine ordentliche Abfahrt folgen.

In einem Dorf entdecke ich einen Garten, in welchem Bäume mit Granatäpfeln stehen. Granatäpfel! Ich habe noch nie einen Granatapfelbaum gesehen. Cool. Ich bin im Süden. Olivenbäume, Orangenbäume und Granatapfelbäume. Der Wahnsinn. Nur mir einfach über den Zaun einen zu pflücken, wage ich mich nicht.

Die Navigation schickt mich nicht über die ausgeschilderte Serpentine nach Omiš, sondern wieder einmal über eine kleinere Nebenstraße. Wieder ein Scheidepunkt an welchem ich kurz überlege ob ich der Beschilderung folgen soll oder der Technik vertraue. Ich vertraue der Technik.

Spoiler: Fehler!

Es geht also endlich abwärts hinein in ein kleines Dorf. Am Ende dieses entdecke ich eine schöne Aussicht, auf die Serpentine, welche ich alternativ hätte nehmen können. Ein schöner Anblick. Aber ich bleibe mal auf meinem Weg.

Nur wenige Meter weiter: Wo ist mein Weg?

OK. Laut Navigation, sollte es hier hinunter zum Meer gehen. Das ist aber nur ein kleiner steiniger Trampelpfad. Da soll ich mit meinem schwer beladenen Fahrrad runter?

An einem Haus höre ich wie jemand gerade den Hof mit Wasser aus spritzt. Ich gehe zu dieser Person um mich nach diesem Weg zu erkunden. Die Teenagerin ist dem Englisch nicht so mächtig und holt ihren Vater. Dieser spricht Englisch und Deutsch. Glückstreffer.

Ich frage ihn, ob dieser Weg tatsächlich nach Omiš führt und man diesen mit Fahrrad fahren kann. Er meint es geht, man muss aber aufpassen.

Ich zeige ihm mein Fahrrad und erläutere, wie verdammt schwer es ist. Unter diesen Voraussetzungen sollte ich diesen Weg dann wohl eher doch meiden und die Serpentine benutzen. Vielen Dank für diese Information.

Was bedeutet das jetzt für mich? Genau, die Strecke, die ich eben schon schön nach unten gerollt bin wieder nach oben. Ich hatte heute ja noch nicht genug Steigerungen und bin eh schon ziemlich erschöpft. Ich schiebe das Fahrrad Meter für Meter wieder nach oben. Irgendwann erreiche ich auch wieder schnaufend die Kreuzung, an der ich mich narrenhaft dazu entschlossen habe, der Technik zu vertrauen.

Ich Atme kurz durch. Ein paar Gehirnzellen scheinen noch zu arbeiten. Geistesgegenwertgig entscheide ich mich dazu meinen Helm aufzusetzen. Erst das zweite mal auf dieser Reise. Doch ich bin noch nie eine Serpentine mit Fahrrad herabgefahren und kann mir gut vorstellen, dass ich mit dem schweren Fahrrad ein recht hohes Tempo erreichen werde. Ob mir der Helm dann noch was nützt, sei mal dahingestellt.

Es geht los. Zum Glück ist gerade keine Saison und sehr wenig verkehr. Die kurvenreiche Bergstraße schlängelt sich den Hang hinunter und ich werde immer schneller und schneller. Hätte ich Flügel, würde ich jetzt abheben. Ach nein, das Fahrrad ist viel zu schwer. Bremsen, lasst mich jetzt bloß nicht im Stich!

Mir stellt sich die Frage, ob sie dafür die ganze Plackerei der letzten Stunden in den Bergen gelohnt hat. Fazit: Nein.

Aber es ist trotz dem schön und macht riesigen Spaß den Weg herunter zu fegen. Ich bleibe hin und wieder stehen, um mich an der Aussicht zu ergötzen.

Letztlich ist es ein flüchtiges Vergnügen. Langes Vorspiel, kurzes Finale. Wie so oft. Zwischen zwei gewaltigen Felsformationen führt die Straße hindurch und man ist in Omiš und wieder auf der Küstenstraße.

Jetzt bleibe ich auch auf dieser bis ich an meiner Unterkunft ankomme. OK, ich bin noch mal auf einem kleineren Weg, welcher wirklich direkt am Meer entlang führt.

Dabei entdecke ich auch einen Zwinger, welches abgeschieden zwischen Bäumen und zum Meer mit einem Fels abgegrenzt steht. Eine arme Hundeseele bellt mich hinter den Gitterstäben an. Ich stelle mein Fahrrad ab und versuche Vertrauen zu meinem kleinen Freund aufzubauen. Es dauert tatsächlich nicht lang und wir verstehen uns.

Der Anblick diesen Hund in diesem abgeschiedenen, verwahrlosten Zwinger zu sehen ist erdrückend. Auf der Hundehütte befinden sich etliche geöffnete Hosen Hundefutter. Es lässt sich nicht erkennen, wozu dieser Zwinger gehört. Egal, der Hund freut sich gerade einfach nur über etwas Gesellschaft und Zuneigung.

Ich bleibe eine Weile und muss dann leider noch ein paar Kilometer weiter in meine Unterkunft.

Als ich dort ankomme, merke ich auch wieder, wie erschöpft ich bin. Also schnell alle Taschen rein und ausruhen.

Nach dem ich wieder halbwegs bei Kräften bin entscheide ich los zu ziehen und zu schauen, ob ich etwas zu Essen finde.

Außerhalb der Saison haben alle Restaurant weit und breit geschlossen und ich muss mir etwas in einem kleinen Markt holen und zu Hause zubereiten. Zum Glück habe ich wenigstens eine Küche mit allem wichtigsten was ich brauche.

Auf dem Balkon mit Blick aufs Meer lasse ich diesen anstrengenden Tag ausklingen.

Tag 31 (01.11.2019)

Überraschenderweise ist heute noch mal richtig schönes Wetter. Damit hatte ich nicht gerechnet. Um an die Adria zu gelangen muss ich nur einige Stufen nach unten. An der Steilküste zieht sich ein kleiner Strand entlang mit mehreren Anlegestellen für die kleinen Boote.

Man merkt, das die Saison vorbei ist. Ich bin ganz alleine hier und kann mir in alle Ruhe einen Platz suchen, an dem ich noch mal die Sonne nutzen und im Meer mit den Fischen schwimmen kann.

Das ist eigentlich auch schon fast der ganze Tag. Eben auch Urlaub. Meine Lektüre für die Reise neigt sich auch dem Ende. An dieser Stelle mache ich einfach mal eine Empfehlung für das Buch: Der Ruf der Stille von Michael Finkel. In dem Buch geht es um einen Mann, welcher wie ein Eremit über zwei Jahrzehnte in den USA im Wald gelebt hat. Es handelt sich um eine wahre Geschichte und in dem Buch werden zusätzlich viele Informationen rund um das Thema selbst gegeben. Sehr interessant.

Nach dem Aufenthalt am Wasser, habe ich mich wieder zu dem kleinen Markt begeben um etwas zum Abendbrot zu besorgen. Doch der Laden hat geschlossen. Verdammt. Dann muss ich morgen wohl mit dem Fahrrad nach Omiš fahren um Wasser und Lebensmittel zu besorgen. Das war nicht eingeplant.

Tag 32 (02.11.2019)

Der Herbst ist nun auch in Kroatien eingekehrt. Frisch und mit Starkregen beginnt der Tag. Erst gegen Mittag lockert es sich etwas auf und ich nutze die Chance um nach Omiš zu radeln. Dabei komme ich an dem kleinen Markt vorbei. Heute hat er wieder geöffnet.

OK, Planänderung. Ich fahre nicht extra bis nach Omiš und decke mich hier mit dem überschaubaren Angebot ein. Das erspart mir eine unnötige Fahrt.

Da es zumindest gerade nicht regnet und halbwegs angenehm ist, beschließe ich wieder zum Wasser zu gehen. So schnell kann das Meer ja nicht abkühlen. Nutze ich die Chance doch noch einmal um im Adriatischen Meer zu schwimmen.

Die Wasseroberfläche ist heute etwas rauer und die Brandung ist deutlich lauter, als die letzten Tage. Die raue See hat etwas magisches. Ich verweile, bis die Kälte zu tief in den Knochen sitzt und ich mich nach einer warmen Dusche sehne. Der Abend wird wieder auf dem Balkon verbracht. Die Aussicht ist einfach zu schön, als dass ich sie ignorieren könnte.

Kroatien, ich bleibe wohl noch etwas länger

Nun bin ich einen Monat Unterwegs. Ungefähr 770 km mit dem Fahrrad und ca. 800 km mit dem Zug. Auch wenn die Reise bis her völlig anders verläuft, als ich es mir vorgestellt habe, bereue ich nicht, sie angetreten zu haben.

Was ich in diesen wenigen Wochen gesehen habe, über Länder, Menschen und mich gelernt habe, macht diese Reise zu einem absoluten Gewinn für mich.

Ich bin jetzt über 30 Jahre alt und zum ersten mal für einen so langen Zeitraum nicht in Deutschland und alleine Unterwegs. Obwohl ich mich als Weltoffenen Menschen bezeichne, habe ich selbst bis her so wenig von dieser gesehen. Der Großteil meiner Erfahrungen beliefen sich bis her auf Informationen aus Funk, Fernsehen, Internet und Erzählungen von Freunden.

Jetzt endlich alles einmal selbst zu erleben, nicht eingekerkert in einer Hotelanlage. Jeden Tag aufs neue treffe ich neue Entscheidungen über den weiteren Verlauf meiner Expedition. Nichts ist vorhersehbar. Einen Tag denke ich, ich werde diesen Weg einschlagen und lande dann doch wieder wo anders. Ich brauche nicht versuchen Geschehnisse zu beeinflussen, sondern muss einfach nur reagieren. Ich empfinde das als befreiend und als Luxus.

Klar mache ich mir auch Gedanken darüber, wie es nach dem Ganzen in Deutschland, oder wo auch immer, mit mir weiter gehen soll. Altlasten und Pflichten versuchen sich immer wieder in meinen derzeitigen Tagesrhythmus einzuschleichen. Aber genauso ist mein Kopf zur Zeit so frei, dass ich auch einfach nur da sitzen kann und an nichts denke. Ich weiß nicht, wann ich das das letzte mal hatte. Ein Zustand, den ich gefangen im normalen Alltag nie erreichen konnte.

Ich will das Wort Freiheit nicht definieren, aber ich denke, dass ich diesem gerade zumindest sehr nah bin.

Für die nächsten Tage und vielleicht auch längeren Zeitraum gibt es nun tatsächlich einen Plan. Nach wie vor muss ich auf meinen Körper hören und derzeit alles etwas gemächlicher angehen. Ich hatte zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt meine Reise abzubrechen. Da die Schmerzen beim Fahrrad fahren einfach auch in die Psyche gehen und den Spaß daran zerstören. Warum also nicht abbrechen und wenn ich irgendwann wieder fit bin noch einmal aufs neue Starten?

Die Antwort ist einfach: Ich will einfach nicht, dass es so und jetzt schon endet. Also geht es weiter.

Da ich einen Cliffhanger brauche um euch bei der Stange zu halten, verrate ich jedoch noch nicht, was mein derzeitiges gesetztes Ziel ist. Ich sollte es jedoch, Ende nächste Woche erreichen.

Nase in den Wind und weiter...