Kapitel 7

„Gemächlich kommt auch weit.“

Tag 33 (03.11.2019)

Ich müsste mich wohl noch ein ganzes Stück dem Äquator nähren, um keine Regentage mehr zu haben. Die Erde braucht ihr Wasser um den Pflanzen wieder Kraft zu geben und ich kann die Zeit wieder produktiv nutzen um das Internet mit meinem Quatsch vollzumüllen. Daher sehe ich das nicht als Problem.

Nach getaner Arbeit bleibt immer noch genug Zeit für meinen Weg zum Strand um wenigstens so zu tun als würde ich schwimmen. Eigentlich treibe ich nur an der Wasseroberfläche und schaue den Fischen zu wie sie ebenso beim Wellengang hin und her wabern.

Am Abend habe ich mich noch mit meinem Vermieter zusammen gesetzt. Er hatte viel zu erzählen über die durchwachsene Zeit im Balkan, seine Zeit auf See und als Gastarbeiter in Deutschland. Es ist erstaunlich, wie wenig man doch über den Balkan und seine Geschichte weiß. Dabei liegen diese Kriege keine 20 Jahre zurück. Zum Abschluss gab es noch selbst gebrannten Walnusslikör.

Živjeli

Tag 34 (04.11.2019)

Durch einen lauten Geräuschpegel von draußen, verursacht durch starken Regen und Wind, werde ich geweckt. Ich beobachte das Schauspiel bis ich wach genug bin um den anstehenden Aufgaben nachzugehen. Es wird Zeit die Sachen zusammenzupacken. Eine ordentliche Portion Haferbrei mit Obst soll mir als Stärkung für die heutige Etappe dienen.

Bis ich fertig bin und los kann, hat es auch aufgehört zu regnen und ich kann meine Regenschutzkleidung im Rucksack lassen.

Die heutige Tour soll mich entlang der adriatischen Küste nach Makarska führen. Eine entspannte Strecke von ein wenig mehr als dreißig Kilometer. Ich möchte mich lieber weiter schonen ehe ich wieder unnötige Probleme bekommen.

Als ich das Fahrrad bepacke, merke ich, dass mein Hinterrad nicht ganz rund läuft. Ich versuche es nachzujustieren, dabei schaffe ich es doch tatsächlich mit meiner bärenstarken, unermesslichen Kraft, mein kleines Multitool zu zerbersten. Gehen wir aber wohl besser von minderer Qualität des Werkzeuges aus. Aber gut, bleibt mir nichts übrig als mit dem schleifenden Rad bis nach Makarska zu fahren und mir dort einen Baumarkt oder Fahrradladen zu suchen. Wird schon gehen.

Voll bepackt rolle ich auch schon wieder los. Das Problem mit dem Fahrrad ist vergessen als ich einfach den Blick aufs Meer genießen kann, während sich die Strecke an der Küste entlang windet. Hier macht sich auch wieder bemerkbar, wie angenehm es ist, außerhalb der Saison unterwegs zu sein. Die Straße ist durch wenig befahren. Lediglich der ein oder andere LKW Fahrer nimmt es nicht so genau mit dem Sicherheitsabstand beim Überholvorgang. Kurz geflucht und wieder die Aussicht genossen. „Und jetzt hinsetzten und niesen, Natur genießen.“

Am frühen Nachmittag erreiche in Makarska. Ich bringe meine Sachen in die Unterkunft und begebe mich direkt wieder los einen Baumarkt suchen. Ein wenig Google, ein paar Leute befragen und schon bin ich an dem Ort, welcher alles bereit hält, was ich brauche um mein Rad wieder rund laufen zu lassen. Na gut, fast alles. Neue Bremsbeläge haben sie nicht.

Mit meinem nigelnagelneuen Werkzeug begebe ich mich zum Strand um dort meine Skills bei der Fahrradreparatur zur Show zu stellen. Ach verdammt, stimmt ja. Außerhalb der Saison. Es ist niemand da, der mich bei meinem handwerklichen Geschick beobachtet und aus zweiter Reihe zujubelt. Dann bleiben also nur der Sonnenuntergang, das Meeresrauschen, mein Fahrrad und ich. Klingt eigentlich ganz OK.

Es dauert auch nicht lang und ich kann das Fahrrad endlich mal zur Seite stellen und die Gegend erkunden. Bevor ich dies jedoch mache, muss ich natürlich noch etwas wichtiges tun.

Der Gang ins kühle Nass. Wenn das Meer schon vor der Türe ist, fühle ich mich einfach dazu genötigt und verpflichtet dieses auch zu nutzen.

Ausgerüstet mit Badehose, Badeschuhe, Taucherbrille und Handtuch stolziere ich zum Strand um mich in die wilde Brandung zu werfen. Die Wellen peitschen Kopfhoch an meine Knie. Brrr kalt. Rein da, ich will mich nicht blamieren. Vor mir selbst. So ziehe ich meine Runden in den Weiten des Meeres.

Nachdem ich mich wieder umgezogen habe ziehe ich noch eine Runde durch die Stadt Makarska. Morgen bin ich ja noch einen ganzen Tag hier. Also nehme ich mir nicht zu viel vorweg und beschränke meinen Rundgang auf den Hafenbereich, ehe ich wieder zur Unterkunft zurück kehre.

Tag 35 (05.11.19)

Der Wetterbericht hat für den Nachmittag Sturm und Regen angesagt. Also habe ich beschlossen schon zeitig los zu ziehen um mir einen Eindruck von der Umgebung zu machen. Makarska liegt in einer Bucht umgeben von einer wunderschönen Naturlandschaft. Ins Landesinnere zieht sich der Biokovo Naturpark, am nördlichen Teil der Bucht der kleine St. Peter Waldpark und vom Südlichen Teil der Bucht zieht sich der Osejava Waldpark. Klingt, als gäbe es so einige schöne Spots zu sehen. So drehe ich den ganzen Tag meine Runde am Meer entlang und bestaune immer wieder die schönen Aussichten, welche sich auf der Strecke hervortun.

Auf einem kleinen Hügel im St. Peter Waldpark kommen plötzlich aus allen Ecken und Büschen Katzen hervor und stürmen auf mich zu. Ich erschrecke kurz und sie bleiben stehen. Beobachten mich. Ich beobachte sie, zücke meine Kamera: Knips.

OK, dieser Hügel gehört euch und offensichtlich denkt ihr, dass ich euch Futter bringe. Sorry Leute, ich habe nichts für euch. Immer diese Katze hier überall. ÜBERALL.

Bei meiner Wanderung behalte ich immer den Wetterprognose im Auge. In erster Linie beobachte ich aber einfach, was über mir geschieht. Es ist stark windig, aber regen bleibt aus. Kein Grund meinen Rundgang abzubrechen und in sichere Gemäuer zu fliehen. So streife ich umher bis es dunkel wird ehe ich mich wieder langsam zurück ziehe und den Tag ausklingen lasse.

Tag 36 (06.11.19)

Nach dem kurzen Ruhetag gestern, geht es heute auch schon weiter. Wieder ist nur eine kurze Route angesetzt. Einfach weiter entlang Küstenstraße. An einer Stelle ist die Straße den Hang herabgesackt. Nicht auszumalen was passiert, wenn man sich genau zu einem solchen Zeitpunkt auf einem solchen Abschnitt befindet.

Nicht einmal 30 Kilometer beträgt die geplante Strecke. Schon 13 Uhr erreiche ich mein Ziel in Drvenik.

Glücklicherweise kann ich mein Zeug schon in der Unterkunft abladen. Da ich so zeitig da bin, bleibt noch genügend Zeit um das kleine Dorf bei Tageslicht zu erkunden. Wieder ziehe ich meinen Weg entlang am Meer. Und na klar. Überall verstecken sich immer Katzen. Mal scheu, mal zutraulich.

Tag 37 (07.11.19)

Diesmal verzichte ich auf einen Ruhetag und setzte meine Tour Richtung Süden fort. Heute stehen mir noch weniger Kilometer bevor als gestern. Um nicht wieder zu früh an meinem Ziel anzukommen, beschließe ich mir mehr Zeit auf der Strecke zu lassen und kleinere Hotspots am Wegesrand mitzunehmen. Ich weiche immer mal wieder von der Landstraße D8 ab, um einen kleinen Umweg durch die Ortschaften zu nehmen.

Was mir die gesamte Strecke schon auffällt, sind die Vielzahl an Zeichen der Trauer am Straßenrand. Sie Mahnen mich immer wieder, stets Aufmerksam und Vorsichtig auf meinem Weg zu sein.

Das besondere an der heutigen Strecke ist, dass sie nicht komplett an der Küste entlang führt, sondern einen kleinen Abstecher ins Innenland macht, bevor sie Ploče erreicht.

Gegen den beginnenden Regen schütze ich mich mit meiner Wasserdichten Kleidung und kann mich so auf die Abwechslungsreiche Landschaft konzentrieren.

An einem Rastplatz mit Blick auf die Bacina-Seen mache ich einen längeren Stopp. Die Aussicht ist trotz starken Regen einfach zu schön um einfach dran vorbei zu fahren. Es gibt einen kleinen Stand, an welchem eine Frau eigen produzierte Waren verkauft welche aus eigenen Früchten herrgestellt wurden. Liköre, Marmeladen, Honig, Früchte selbst und wahrscheinlich noch mehr.

Ich frische meinen Vorrat an Obst auf und wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir etwas über ihre Familie und der allgemeinen Lage in Kroatien. In der Zwischenzeit kommt ein Schwall Starkregen auf die Erde niedergestürzt. Gut, dass ich im trockenen stehe.

Als neue Kundschaft kommt und der Regen aufhört setzte ich meinen Weg vor. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zur Unterkunft und so erreiche ich sie nur wenige Minuten später.

Ich werde äußerst freundlich empfangen mit Kuchen und frischen Obst. Hätte ich gar nichts kaufen brauchen.

Wie immer erkunde ich nach meiner Ankunft noch kurz die Gegend in Laufnähe und hole mir dann etwas zum Abendbrot. Ploče selbst erkundige ich morgen, da habe ich wieder einen Ruhetag.

Tag 38 (08.11.19)

Was ist das denn? Ich habe diesen Ruhetag eingeplant, da mir zu Beginn der Planung gesagt wurde, heute soll schlechtes Wetter werden. Was bekomme ich, strahlenden Sonnenschein.

Damit kann ich leben. Ploče ist eine Hafenstadt welche sehr industriell wirkt. Ein kleiner Ort welcher besonders durch seine geografische Lage hervorsticht.

Ich drehe meine Runde durch Stadt und Hafen. Am Port fällt mir sofort wieder die Vielzahl an Katzen auf, welche in den Büschen herumstreunern. Wenn ich so etwas sehe, stellt sich mir auch nicht die Frage, ob eine Kastration von Streunern Tierquälerei ist oder nicht. Denn ich bin mir sicher, dass die Anzahl verhungernder Katzenbabys in den Büschen enorm hoch ist. Das ist wirklich Qual. Dann doch lieber kastrieren.

Mein Weg führt mich nun raus aus der Stadt, in Richtung der Seen, welche ich gestern schon überblicken konnte. Nach dem mich die letzte Tage das Meer begleitet hat, will ich nun auch mal den Süßwasservorkommen des Landes meine Aufmerksamkeit schenken.

Wie sich das wieder lohnt. Alle paar Meter finde ich Plätze, welche zum verweilen einladen.

Ich möchte meine Runde heute jedoch nicht zu sehr ausdehnen und beende sie am Nachmittag um mich für morgen zu schonen. Dort erwartet mich eine etwas längere Etappe, welche besonders mal wieder durch ihre Höhenmeter heraussticht. Der Plan für die Fahrzeiten der Fähre ist beschafft. Ich bin bereit.

Tag 39 (09.11.19)

Die größte Besonderheit, welche mich heute erwartet, ist die Fahrt mit der Fähre. 11 Uhr am Morgen soll sie starten. 10 Uhr verlasse ich meine Unterkunft und begebe mich zum Hafen. Der Weg ist kurz und ich habe noch genug Zeit meinen Wasservorrat für die Fahrt aufzustocken. Mein Gefühl sagt mir, dass ich es brauchen werde.

Die Beschilderung am Hafen ist selbsterklärend. Ein Ticket für die Fähre ist schnell besorgt. Ein paar Minuten muss ich noch warten, ehe das Fährschiff frei gegeben wird.

Ich bin der einzige Fahrradfahrer. Wie immer. Viele der Passagiere suchen direkt das innere des Schiffes auf. Ich bleibe natürlich an Deck. Die kurze Überfahrt will ich in vollen Zügen genießen und die stürmische Seeluft am eigenen Leib spüren.

Pünktlich legen wir ab und stechen in See. Ahoi!

Auf offener See peitscht mir der Wind ordentlich um die Ohren und bringt mich das ein oder andere mal ins Wanken. Auf der Häfte der Strecke von Ploče nach Trpanj sieht man in der Ferne ein Gewitter ziehen. Genau dort, wo ich hin will. Zum Glück zieht es weiter.

Auf der Halbinsel Pelješac sehe ich wie sich die Berge auf tun. Diese sind verantwortlich für die Höhenmeter, welche ich heute passieren muss. Na hoffentlich bleibt wenigstens das Wetter stabil.

Es dauert keine Stunde und wir legen in Trpanj an. Nun bin ich also wieder gefragt. Rauf aufs Fahrrad und los. Ziel: Lovište.

Kaum bin ich aus dem Ort raus, beginnt auch schon die Steigung. Sie ist in sofern akzeptabel, dass sie nicht zu steil ist und ich mich langsam, vor mich hin fluchend, hinauf kämpfen kann.

Gefühlt zieht sich das wieder ewig. Ich brauche über eine Stunde, bis ich endlich am Scheitelpunkt ankomme. Dafür soll es das auch gewesen sein. Ich glaube es stehen mir keine weiteren großen Steigungen bevor.

Die Abfahrt beginnt und es tut sich nach nur wenigen Metern ein atemberaubender Blick über das Adriatische Meer auf. Die großen und kleinen Insel liegen wie schlafende Riesen auf der Meeresoberfläche. Am weit entfernten Horizont meine ich auch schon die Küste von Italien zu erkennen. Bei einem späteren Gespräch mit einem Kroaten den ich treffe, wird dies jedoch angezweifelt. An guten Tagen, ist dies möglich, doch heute ist nicht so ein guter Tag.

Ich nehme das fürs Erste so hin. Ändert ja nichts daran, dass die Aussicht einfach grandios ist.

Nach einer langen Abfahrt mit fantastischen Panoramen führt mich die Straße entlang der Westküste durch Orebić. Der größte Ort der Halbinsel. Von Gewittern ist nur etwas in der ferne zu hören. Da wo ich bin, ist jedoch nur Sonne. Denkt euch euren Teil.

Nur noch 8 Kilometer. Gleich geschafft. Ha Ha, denkst du! Was ist das? Wieder eine Steigung? Und

was für eine! Ich denke es kommt heute keine mehr. Wie sehr ich doch so etwas hasse, am Ende eine Tour.

Langsam, sehr langsam. Schieben. weiter fahren, schieben, Pause, trinken, schieben, fahren. Ich bin völlig am Ende. In der Ferne sehe ich einen Aussichtspunkt, welchen ich mir als Endpunkt dieser ganzen Qual erhoffe.

Ein Auto steht dort oben. Als ich ihn erreiche springt ein großer Schäferhund ähnlicher Hund aus dem Kofferraum um stürmt auf mich zu. Ruhig Brauner. Zum Glück nur große Klappe. Nicht wirklich. Der Besitzer pfeift ihn zurück und wir kommen ins Gespräch.

Ein Filmproduzent, geboren in Kroatien, lebt aber auch in Kanada und wechselt immer wieder zwischen den Ländern. Es ist Wahnsinn, welche spannenden Menschen man auf einer solchen Reise immer wieder trifft.

Er erzählt mir, dass die Engstelle zwischen der Halbinsel Pelješac und der Insel Korcula eine der bekannteste Spots der Welt für Windsurfer ist. Der Engpass zwischen den Inseln wirken wie ein Kanal für die Winde, so dass diese hier besonders gut für entsprechende Sportarten geeignet sind. Im Sommer ist hier alles voll mit Segeln. Wie kleine Schmetterlinge tummeln diese sich dann auf dem Meer.

Da es langsam dunkel wird muss ich meinen Weg jedoch fortsetzen. Das ich für die paar Kilometer so lange brauchen würde, hätte ich wahrlich nicht gedacht. Selbst nach diesem Aussichtspunkt setzt sich der Anstieg fort. Ernüchterung.

Zum Glück ist es aber ein Naturgesetz, dass es wenn es hoch geht, es auch wieder runter gehen muss. Ist es ein Naturgesetz? Zumindest trifft es bis jetzt auf meiner Reise immer zu.

Und so auch hier. Es geht endlich wieder runter. Aber verdammt, sehr steil. Die Bremsen werden auf den letzten 2 Kilometern noch einmal einem absoluten Härtetest unterzogen.

Die Abfahrt endet genau im Dort. Endlich. Lovište. Hier werde ich nun also mindestens eine Woche verbleiben.

Ich fahre langsam den Hafen entlang auf der Suche nach der richtigen Adresse.

Da kommt auch schon ein Mann um die Ecke:

„Andreas. Du hast es geschafft! Ich habe mir schon sorgen gemacht...“

Ja. Da bin ich. Fix und fertig.